Urbaner Monsun



3631370016_f6ba916819
folgender Artikel ist auf www.urbanophil.net erschienen:
Urbaner Monsun
/Gastbeitrag von Georg Jahnsen
Die ersten schweren Regenfälle der diesjährigen Monsunsaison werden in Mumbai in Kürze beginnen. Jeweils um den 24. der Monate Juni und Juli werden diese Monsunregenfälle von extremen Gezeitenhochwassern überlagert. Die Stadt erwartet ein Jahrhunderthochwasser, welches möglicherweise schlimmer ausfallen wird als jenes vom Juli 2005, welches die Stadt bis zu zwei Meter überflutete.
Angesichts dieser bevorstehenden Ereignisse versucht sich die Stadt, so weit Mittel und Möglichkeiten vorhanden sind, zu rüsten. Private Geschäfte, Restaurants und Hotels lassen provisorische Dächer aus Bambus und blauen Plastikplanen vor ihren Gebäuden errichten und versuchen mit Sonderaktionen und Rabatten (”Monsoonshopping”) den zu erwartenden Umsatzrückgängen von bis zu 30% zu begegnen. Die abenteuerlichen Dachkonstruktionen sehen dabei denen der städtischen Slums nicht unähnlich.

Monsoon Roof

Die städtische Verwaltung lässt unterdessen verstärkt die Straßen reinigen, um die Kanalisation frei von Müll und Treibgut zu halten. Kritische Verkehrsknotenpunkte, die überflutungsgefährdet sind, werden mit behelfsmäßigen Fahrbahnerhöhungen ausgestattet: eine Stahlkonstruktion mit soliden Holzplanken von bis zu einem Meter Höhe. Neben der „Sintflut“ von oben liegt ein Grund der Überflutung auch im mangelhaften städtischen Entwässerungssystem: das weitgehende Fehlen eines Rückhaltesystems für das Meereswasser, vor allem in den neueren Stadtquartieren – führt zu Überschwemmungen „von unten“. So ist es möglich, dass bei Flut der Ozean ungehindert in die städtischen Abwasser- und Regenwasserkanäle drückt.
Für den größten Teil der Bevölkerung Mumbais bedeuten die bevorstehenden Überflutungen der Stadt eine direkte Bedrohung der eigenen Behausung. Rund 70% der Mumbaiker wohnen in Slums oder slumähnlichen Unterkünften. Diese sind oft in den tiefer gelegenen Stadtgebieten und nahe den innerstädtischen offenen Kanälen und Flussufern zu finden. Selten sind die Gebäude höher als zwei Stockwerke. In der Regel wird direkt auf dem Boden der Stadt gewohnt. Für viele bedeutet es schon einen enormen finanziellen Kraftakt ein einfaches, halbwegs regendichtes Dach zu bauen. Selten reicht es für eine halbhohe Mauer gegen das eindringende Wasser von der Straße.
Die hohe Luftfeuchtigkeit und die hohen Temperaturen sind in der dichten Stadt ein idealer Nährboden für zahlreiche Infektionskrankheiten, die in der Monsunzeit die Bevölkerung bedrohen.
Also alles schlecht am Monsun in der Millionenmetropole? Fragt man die Menschen in der Stadt, ob sie sich vor den Monsunregenfällen fürchten, bekommt man ein Lachen zu hören: fast alle freuen sich auf das Naturschauspiel. Der Monsun wird als Reinigung und willkommene Abkühlung empfunden und geschätzt. Und alle haben Tipps und Tricks aber auch urbane Mythen zu dieser Zeit zu erzählen. Hier die Top 5 Überlebenstricks bei urbanem Monsunhochwasser:

1.) Gehwege meiden. Stattdessen auf der Strasse gehen. Die Kanäle unter den Gehwegen mit den großen Öffnungen entwickeln bei Hochwasser einen enormen Sog und verschlingen unachtsame Passanten.
2.) Den ersten Regenfällen im Jahr möglich ganz aus dem Weg gehen, da in diesen Regenschauern am meisten Luftschadstoffe enthalten sind.
3.) Todesfalle Luxuskarosse: einige moderne vollautomatische Autos mit Zentralverriegelung und elektrischen Fensterhebern werden bei Hochwasser zur Todesfalle, weil sie sich nicht mehr öffnen lassen, wenn das Wasser eine gewisse Höhe überschritten hat. Ein Hammer im Handschuhfach kann da lebensrettend sein.
4.) Wirklich nur das Nötigste bei sich haben. Dokumente oder technische Geräte zu Hause lassen. Wer in dieser Zeit einen Laptop mit sich herum trägt, hat selber Schuld. Fürs Mobiltelefon gibt es wasserdichte “Ziplog” Plastiktaschen.
5.) Suburbs und Slums meiden. Die zahlreichen neu entstandenen Vororte sind in den letzten Jahren in rasanter Geschwindigkeit gebaut worden. Beim Ausbau der Kanalisation und Entwässerung wurden dabei nicht selten Fehler und Unvollständigkeiten begangen. In größeren Slumgebieten fehlt die Kanalisation meist völlig.
Fotos: von Georg Jahnsen